Bilder - Beizen
Im Frühjahr 2016 entstanden eine Reihe von Porträten,- Stammgäste genannt. Direkt vor dem Modell, jeden Tag ein Porträt in der Kneipe von Podevousy. Ungeschniegelte wirken die Bilder, denn in diesem kurzen Zeitabschnitt galt es Charakter und eine unmittelbare Aufzeichnung einzufangen, darüber hinaus immer zum Ziel, ein klassisch empfundenes Porträt zu schaffen.
In den Jahren 1995 – 2005 entstanden die verschiedensten Serien der Beiz Podìvousy.
Gesehene und miterlebte Szenen aus unserer Dorfbeiz, von mir im Skizzenblock festgehalten und später im Atelier zum Bilde verarbeitet.
Die Schmiede, eine originelle Beiz in Domažlice
Die Schmiede 2014: direkt in der Beiz vor den Stammgästen in Öl gemalt, in der Größe von cirka 50x60 cm
Die Schmiede 2011-2013: entstanden Zeichnungen und Ölbilder in der Größe von ca. 70x90 cm)
Doris Windlin: Berichterstattung aus einer tschechischen Beiz
Kleine Impressionen einer Malerin vor Ort
Im barocken Städtchen Domažlice, nahe der Grenze zu Deutschland, wurde ich fündig. Um, nach mehr als fünf Jahren Pause, wiederum die Beiz als Bildthema zu bearbeiten. Ich entdeckte eine Spelunke mit Seltenheitswert!
Zur Kovárna, was auf Deutsch Schmiede heisst, führen wacklige, leicht betrunkene Stufen hinab. Zur Linken die Schmiede!
Daneben unscheinbar der Eingang zu der berüchtigten Beiz.
Einen Augenblick betrachte ich die etwas unglaubwürdig auf einfaches Papier gekritzelten Öffnungszeiten, Montag bis Samstag 7 Uhr bis 19 Uhr, Sonntag von 9 Uhr bis 17 Uhr. Mit Herzklopfen drücke ich die Klinke, die Pforte ist scheinbar nie ganz verschliessbar, ausser man sichere sie mit dem schweren, eisernen
Wo bin ich?
Ich gelange in einen dunklen Gang mit drei weiteren Türen, wähle die mit dem grossen Lärmpegel, und bin richtig! Da trete ich nun über die Schwelle und stehe mitten in der Beiz, gleich beim Stammtisch, und rundum ist ein lärmiges Treiben! Die Beiz scheint vor Übermut und Heiterkeit aus den Nähten zu platzen. Nur als ich eintrete wird es am Stammtisch einen Augenblick ruhig! Ich lasse mir nichts anmerken und nehme möglichst unauffällig den Weg am Ausschank vorbei in den hinteren Raum. Dort gibt’s noch leere Stühle, und der Raum ist etwas abgeschirmt. Ich bestelle ein Bier und ziehe den Skizzenblock hervor.
Premiere
Zwei Zeichnungen in der Tasche, bezahle ich und frage den Beizer, ob ich wieder kommen kann zum Zeichnen? Ohne weiteres, ist seine Antwort.
Draussen, wieder auf der Strasse, könnte ich hüpfen vor Glück. Nicht nur dass ich eine wirkliche Spelunke von Seltenheit entdeckte; aber habe ich mir den Zugang zu dieser Räuberhöhle ganz allein errungen!
Der Tag danach
Andern Tags, am 5. Januar 2011, mache ich mich um den Mut nicht zu verlieren sogleich wieder auf den Weg zur Kovárna. Der Wirt erkennt mich gleich und bietet mir seinen Stuhl an. Direkt bei der Theke bei den Stammgästen beginne ich zu zeichnen. Es kommt mir vor wie auf einer Bühne. Um den Stammtisch sind lauter Männer, doch meine Gegenwart stört sie nicht. Sie kommen und gehen. Plötzlich höre ich: Verrecke du Schurke! Erschreckt schaue ich hoch, der Beizer zuckt die Schultern und meint mit leicht verlegenem Lächeln: Das war ein Gruss!
Eine Frau
In den folgenden Tagen geht alles wie von allein, die Kovárna ist täglich voll von Leuten, voll von Leben. Ich setze mich auf die Bank gleich beim Eingang und nahe dem Ofen, nehme mein Skizzenbüchlein zur Hand und bemerke sogleich eine Veränderung: Heute ist am Stammtisch unter all den Männern eine Frau!
In Pose
Es geht nicht lange, so setzt sie sich zu mir auf die Bank. Sie zeigt mir ihren Hund, so ein mattweisses Tier mit langen Ohren, ich soll ihn zeichnen! Na gut, mit meinen Portraits habe ich ja nicht so grossen Erfolg, wenigstens wird der Hund wohl schweigen. Ich zeichne ihn, wie er auf dem Stuhl sitzt und wie er sich schämt – so wie ich. Ich zeichne auch den Mann, der hinter dem Hund sitzt und ihn in Pose hält.
Die Lebensberatung
Dem Hund gefällt auf einmal seine Rolle, er sitzt und schaut mir direkt in die Augen und bringt mich in Verlegenheit. Derweil plappert die junge Dame neben mir vergnügt. Sie verheirate sich dieses Jahr, und dass ich ihr etwas zeichnen soll, ich begreife nicht was. Sie sei im Kinderheim aufgewachsen, sie habe sich neue Lederstiefel in Aktion gekauft, beim Vietnamesen für nur 300 Kronen, die alten waren abgelaufen. Ihre Augen massen mich plötzlich mit einem ernsten Blick. Von wo bist du? Aus der Schweiz. Ein Augenblick Stille, dann meint sie: No, macht nichts.
Vendula, so heisst sie, fängt an mich zu beraten: Schnapp dir diesen Mann, der ist lieb. Aber den nicht, der hat nichts! Wieder sagt sie, dieses Jahr werde ich heiraten, im Sommer, zum vierten Mal.
Das Brot
Bei der Theke sitzt Murphy. Er hat schon die Lampe voll. Spricht aber dauernd davon, dass er nur hier ist weil er Brot kaufen soll. Die ganze Beiz weiss schon von seinem Auftrag. Auf einmal kommt der Beizer auf mich zu und zeigt mir ein Stück Papier, worauf darauf steht: Bitte ein Brot! Das gebe ich meinen Gästen, wenn sie nicht mehr sprechen können!
Der Schirm
Eingetaucht wiederum ins Zeichnen, vernehme ich von irgendwo eine männliche Stimme: Pflück sie dir! Die Antwort von irgendwoher: Die ist aber eine Anständige. Eine zweite Frau kommt in die Beiz, genehmigt sich einen Schnaps und geht gleich wieder. Eine Dritte kommt, und diese bleibt. Sie gibt dem Wirt einen Schirm zur Aufbewahrung und fängt sogleich laut über ihre Arbeit zu sprechen an, von ihren Klienten… Ich fahre nach Hause und atme ein Bisschen auf, ich habe über das Wochenende frei.
Die harte Bank
Am Montag bin ich wieder auf dem Platz. Der Beizer sitzt müde auf der Bank und grüsst mich mit einem Seufzer: Das wäre was, eine Schlange zu sein, nur liegen und kriechen! Seine gläsernen Augen blitzen kurz lebendig auf, denn er hat die wertvollen Morgenstunden des Schlafes auf der harten Bank in der Beiz verbracht.
Ein Schluck Bier
Ich setze ein paar Tage aus und suche die Kovárna erst wieder am Donnerstag 13. Januar auf. Beim Eintreten vernehme ich etwas wie Erleichterung: Ah schau, sie ist wieder da! Als hätte man mich erwartet. Es sind die Tage vor dem Zahltag, da ist etwas weniger los, aber treu ist mein Stammtisch besetzt. Wie die Männer mich sehen, sagt Punta zu seinem Kameraden: Leih mir deinen Kamm. Punta fängt sich zu kämmen an, gab den Kamm zurück, und nun kämmt sich auch sein Kamerad. Hallo, so nicht, protestiere ich. Die Männer nehmen das Gezeichnetwerden sehr ernst. Der Herr, der bei der Türe sitzt, bewegt sich kaum. Ich erinnere ihn daran, dass er in der Beiz sitzt und ein frisches Bier vor sich hat und dass er schon trinken darf. So nimmt er einen Schluck.
Der Retter
Ein neuer Gast setzt sich an die Stirnseite des Stammtisches. Er zieht mehrere Tausender aus seiner Manteltasche, schiebt sie dem Kameraden von Punta zu: Wenn du es wieder zusammen hast, kannst du es mir es zurück geben, es hat Zeit. Der beschenkte Mann, von der Statur eines Felsens, kämpft mit den Tränen. Er umarmt seinen Gönner und bedankt sich wieder und wieder.
Die Frau
In diesem Augenblick öffnet sich die schwarze Eingangstür, und gleich an der Stimme erkenne ich sie wieder. Es war sie, die Frau aus Berufung, vom letzten Donnerstag. Irgendwie traurig setzt sie sich zu den Männern an den Stammtisch. Punta als Stimmungsmacher bestellt Schnaps für alle und prostet laut: Auf Lenin und seine Frau Stalin.
Der Auftrag
Irgendwie habe ich Glück bei den Frauen, die in der Beiz verkehren. Ich nehme meinen Platz auf der vorderen Bank beim Ausschank ein. Da setzt sie sich schon neben mich, öffnet ihr Portemonnaie und zieht eine alte, verblichene Schwarzweissfoto heraus. Zeichne Sie, sagt mit eindringlich trauriger Stimme, und hält mir das Bild ihrer Mutter unter die Nase. Ich versuche es mit Ausreden, ich könne nur hässliche Männer zeichnen, aber keine schönen Frauen. Sie bleibt unbeeindruckt. Du weisst überhaupt nicht, was es für mich bedeuten würde, wenn du sie mir zeichnest. Also guät! Ich gebe auf und mache mich an die Arbeit. Sie ist mit dem Ergebnis sehr zufrieden, nimmt Zeichnung und Bleistift bringt noch ein paar Verbesserungen an, steht auf, bedankt sich herzlich, nimmt mein frisch gezapftes Bier von der Bank und verschwindet in den hinteren Raum.
Das leere Glas
Neben mir bleibt auf der Bank ihr leeres Glas zurück, mit einer Träne Bier darin. Ich tu als ob nichts wär, doch dem Wirt, der sich als mein Schutzengel berufen fühlt, reicht ein kurzer Blick. Er knurrt: Wo ist dein Bier? Im hinteren Raum, aber: Neøeš to! – zur Beruhigung des Wirtes brauche ich den in Tschechien üblichen Ausdruck, der so viel heisst wie: Isch scho guät, lachs la si. Es funktioniert, er schenkt mir ein neues Bier ein, stellt es neben mich auf die Bank, setzt sich zu mir und begutachtet mit vielen Kommentaren meine neusten Zeichnungen. Doch es soll nicht sein, schwupp, eine Unachtsamkeit, und mein teures goldendes Bier fliesst zu Boden. Der Fussboden badet im Bier, und ich bleibe nüchtern.
Kulièka
Mir gegenüber beim Ofen sitzt Kulièka, was so viel wie Kugelchen heisst. Kulièka ist von leichter Postur, trägt Bart und steckt meist in Armeekleidern, wie das in Tschechien Mode zu sein scheint. Kulièka, der mich mit einem Auge beobachtet, knurrt: Mich brauchst du nicht zu zeichnen! Eine halbe Stunde später erscheint seine Frau: Komm nach Hause, bittet sie ihren Mann. Nein, ich kann nicht, sie zeichnet mich.
Rambo
Hinter dem Stammtisch sitzt Rambo, ein kleiner Mann mit dicker Hornbrille. Als ich ihn zu zeichnen beginne, windet er sich vor Verlegenheit. In die Beiz kommt ein Schönling und nimmt direkt den Platz vor Rambo ein. Ich höre nur noch Rambos dünne Stimme protestieren: Jetzt sieht sie mich nicht mehr!
Die Rechnung
Neben mir geht die Türe auf, und bis ich erkenne wer eintritt, huscht etwas Schwarzes, Haariges an mir vorbei direkt in die Küche. Und der Beizer ihm nach.
Mit einer Handvoll Knochen kommt der Wirt aus der Küche zurück. Während der Hund sie genüsslich verschlingt, schreibt der Beizer auf den Kassenzettel: Poulet 20Kronen und steckt es dem Hund unters Halsband. Auch er hat seine Rechnung, meint er trocken zum Hundehalter. Danach entlässt er den Hund nach draussen. Keine Angst, er klopft, wenn er wieder herein will! sagt er zu mir.
Für den Psychiater
Inzwischen erscheint der Schmied, um sich am Ofen zu wärmen. Er murmelt für sich: Hier sind nicht nur Typen für die Malerin, sondern auch für den Psychiater. Ihrer zwei könnten gut davon leben. Der Beizer, der mit einer Handvoll leerem Glas die Runde macht, dreht sich um und meint: Und dann bleiben sie unter uns! Der Schmied geht zurück zur Arbeit. An der Tür gibt’s Lärm, das ist der Hund, der sich gegen die Türe wirft!
Das rauchige Skizzenbüchlein
Eine halbe Stunde später tritt der Schmied erneut herein, er wirft ein schweres Stück Eisen auf die Bank neben mir und sagt zum Wirt: Sag ihm 100 Kronen wenn er kommt! Und schon ist er wieder fort. Es bleibt von ihm der riesen Schuhabdruck auf dem Fussabtreter. Golem fällt mir ein. Heute riecht mein Skizzenbüchlein, nach ein paar Stunden Zeichnen in der Kovárna, nach Rauch wie nie zuvor.
Das Schlusswort
Meine Aufgabe in der Kovárna besteht nicht nur darin, Szenen zu beobachten, schnell aufzufassen und im Skizzenbuch festzuhalten. Vor allem habe ich dieser Männerwelt beweisen müssen, dass ich auch wirklich nur wegen dem Zeichnen komme. Mein unermüdliches Auftauchen und Arbeiten vor Ort hat mir Respekt verschafft. Innert kurzer Zeit sind mir die Menschen vertraut geworden, obwohl ich nichts Persönliches aus ihrem Leben weiss. Und so bin auch ich als Malerin für einige Zeit ein Teil ihres Beizenalltags geworden.
D. Windlin 2011